Literaturepoche Romantik – übernehme Wesentliches aus der Epoche und formuliere dazu eine Textsorte!

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Das Märchen des Sonderbaren

Literaturepoche Romantik – übernehme Wesentliches aus der Epoche und formuliere dazu eine Textsorte!
Das Märchen des Sonderbaren
Es war einmal in einem fernen Land, da gab es einen Händler, der von allen in seinem Dorf nur „der Sonderbare“ genannt wurde. Denn sonderbar, das war er. Mit lauter skurrilen Waren wurde in seinem Laden gehandelt. Mit seltsamen Früchten, die nirgendwo in der Nähe zu finden waren, und die man auch nicht auf den Feldern anbauen konnte. Mit Werkzeugen, die man noch nie zuvor gesehen hatte und von denen man auch nicht wusste, wofür man sie benutzen konnte. Mit Stoffen, die schöner und feiner gewebt waren, als alles, das die Dorfbewohner bisher gesehen hatten.
Und als ob das alles nicht schon seltsam genug gewesen wäre, verbrachte der Sonderbare die Zeit, in der er nicht arbeitete, im Wirtshaus „zur lauernden Katze“. Dort gesellte er sich zu den Durchreisenden und lauschte den Geschichten von fernen Ländern und großen Königen, die sonst niemand hören wollte.
Zeitverschwendung. Unnützes Gebrabbel. Ablenkung von der Arbeit. So und noch viel schlimmer bezeichneten die Dorfbewohner die Gestalten, die nur im Dorf anhielten, um im Laden des Sonderbaren Sachen zu kaufen, oder auch zu verkaufen, und eine Mahlzeit einzunehmen. Vor vielen Jahren hatte der Sonderbare einmal einen anderen Namen gehabt, einen, den er mit Freuden getragen hatte.
Aber es war lange her, seitdem er ihn zum letzten Mal gehört hat. Und so verschwand er aus dem Gedächtnis der Menschen. Und der Sonderbare vergaß.
Es machte dem Sonderbaren nichts aus, wie ein Aussätziger behandelt zu werden. Er hatte ohnehin kein Interesse daran, sich mit einfältigen Menschen zu unterhalten, die nicht verstanden, dass es noch so viel Mehr auf dieser Welt gab, als das, was sich bis zu den Enden der Felder erstreckte. Sie verstanden nicht, dass es irgendwo dort draußen riesige Berge gab, die in den Himmel zu reichen scheinen. Meere, die den Horizont berührten. Schlösser, die nur dazu gebaut waren, um von Königen und Königinnen bewohnt zu werden. Aber das machte nichts. Denn der Sonderbare hielt ebenfalls recht wenig von der langweiligen Arbeit auf dem Feld oder den Würfelspielen, mit denen sich die anderen Dorfbewohner im Wirtshaus die Zeit vertrieben. So lebten der Sonderbare und die anderen nebeneinander, aber niemals miteinander im Dorf. Der Sonderbare hatte seinen Laden, aus dem er sich selten hinausbewegte, und die Dorfbewohner mieden seinen Laden um jeden Preis.
Nun kam es, dass den jungen Mann das Glück mit seinem Laden verließ. Die Dorfbewohner wollten die Waren des Sonderbaren nicht kaufen und es kamen immer weniger Durchreisende in die Gegend, sodass der Sonderbare nicht weiter vom Handel leben konnte. Zusätzlich plagte den Sonderbaren ein unglaubliches Fernweh, eine unzähmbare Reiselust, die ihn schon sein ganzes Leben lang quälte.
 
Die Familie des Sonderbaren kümmerte es nicht wirklich, dass sein Laden immer weniger Kunden hatte. Schon vor langer Zeit hatte sie aufgehört, sich um den Sonderbaren zu kümmern, da ihnen das nur komische Blicke von den anderen einbrachte. Außerdem besaßen die spärlichen Verwandten, die der Sonderbare noch hatte, selber so gut wie nichts, und konnten keinen Laib Brot hergeben. Der Bauernhof, den sie besaßen, war klein und konnte nicht viele Tiere beherbergen. Die Felder waren unfruchtbar und wenn sie Glück hatten, was sehr selten vorkam, waren sie am Ende des Winters nicht
komplett ausgehungert.
Also beschloss der Sonderbare, zur Freude des ganzen Dorfes, mit den Habseligkeiten seines Ladens auf Wanderschaft zu gehen. Die Hoffnung des Sonderbaren war, dass er unterwegs auf mehr Durchreisende treffen würde, mit denen er Handel betreiben konnte. Da niemand ihn begleiten wollte, packte der Sonderbare alleine die wenigen Dinge, die er noch hatte und die nicht zu umständlich zu
transportieren waren, in ein Tuch, das aus zwei zusammengenähten Stoffresten bestand. Das ergab eine komische Mischung aus Rot und Gelb, die sofort alle Blicke auf sich zog, so, wie der Sonderbare es beabsichtigt hatte.


So zog der Sonderbare los und kam bald darauf zu einem Dorf am Rande eines Waldes. Als er dort in das Wirtshaus einkehrte und ein Zimmer für die Nacht nahm, hörte er die Gespräche um sich herum. Der Wirt und die Ladenbesitzer klagten, dass in den letzten Jahren immer weniger Wanderkundschaft vorbeikam, da der Weg durch die Wälder mittlerweile zu gefährlich geworden war. Von Neugier getrieben fragte der Sonderbare, was denn dort im Wald lauere, damit sich keiner mehr dorthin traute. „Seit Jahren“, flüsterte der stämmige Mann, der am nächsten zum Sonderbaren saß „gehen Menschen in den Wald hinein und kommen nie wieder zurück! Etwas Gefährliches liegt dort auf der Lauer. Und es macht vor niemandem Halt.“ Bestätigend und mit angsterfüllten Augen nicken die Männer, die um den Tisch herum sitzen. „Halte dich ja davon fern. Wenn du einmal dort drinnen bist, kommst du nie mehr hinaus!“
Diese unheilvollen Worte beschäftigten den Sonderbaren noch, als er schon längst im Bett lag. Sein ursprünglicher Plan war es gewesen, durch den Wald zu gehen und auf der anderen Seite sein Glück zu versuchen, etwas von seinen Schätzen zu verkaufen. Denn seine Hoffnungen hatten sich mittlerweile bestätigt und das Geschäft lief weitaus besser, als der Sonderbare zu träumen gewagt hatte. In dieser Nacht beschloss der Sonderbare, seinem Hang zur Neugier und seiner Not nachzugeben und den Wald zu betreten. Was auch immer ihn dort erwartete, er konnte sicher damit fertig werden. Denn wenn der Sonderbare nicht in den nächsten
 
paar Tagen etwas von seinen Sachen verkaufte, würde er nicht mehr genug zum Essen bei sich haben. Wenn er durch den Wald ging, konnte er immerhin ein paar Beeren pflücken und essen.
Der nächste Morgen war unspektakulär und gewöhnlich, so wie jeder andere Morgen. Die Sonne ging auf, keine Wolken waren am Himmel zu sehen und die Wärme versprach schon jetzt einen heißen Sommertag. Die Bauern waren auf ihren Feldern, die Ladenbesitzer hinter ihren Theken und der Sonderbare steckte seine wenigen Habseligkeiten in seinen Sack und verließ nach einem kräftigen Frühstück das Wirtshaus. Ohne zu zögern folgte der Sonderbare dem Weg, der zum Wald führte. Hinter ihm wurde das Getuschel immer lauter und die dort versammelten Menschen starrten entsetzt auf seinen Rücken. Doch der Seltsame ließ sich davon nicht von seinem Vorhaben abbringen. So ging der Seltsame auf den Wald zu. Und die Menschen hinter ihm waren sich einig, dass sie ihn nie wieder sehen würden.


Das Erste, das der Seltsame sah, als er den Wald betrat, war ein Pfad. Dieser war von großen Steinen gesäumt, um den Wanderern den Weg zu weisen, falls der Pfad nicht mehr erkenntlich sei. Denn genau das war geschehen. In den Jahren der vollkommenen Verwahrlosung hatte der Wald begonnen, sich den Pfad zurückzuholen. Pflanzen aller Größen und Grüntönen stritten sich um jedes bisschen Erde, das ursprünglich einmal den Weg vorgegeben hatte. Aber der Seltsame ließ sich davon nicht beeindrucken. Mit großen Schritten stieg er über die erste Ranke hinweg, die ihm den Weg versperren wollte. Und über die nächste. Und die nächste. Der Weg wurde immer unwegsamer. Als der Seltsame die letzten Strahlen der untergehenden Sonne über den dichtbelaubten Blättern sah, schaute der Seltsame zurück und konnte auf einmal nicht mehr sagen, aus welcher Richtung er hergekommen war, über welche Baumstämme er geklettert war und in welche Richtung er überhaupt wollte. Denn wenn der Sonderbare die Sonne nicht sah, hatte er keinen Wegweiser mehr, dem er folgen konnte.
In seiner misslichen Lage gefangen beschloss der Seltsame, dass es am Klügsten wäre, zu warten, bis die Sonne am nächsten Tag wieder aufginge. Da der Seltsame aber einen Bach rauschen hörte, ging er mit leichten Schritten auf ihn zu. Beim Bach stieß er auf eine Lichtung. Die Lichtung war umgeben von hohen Bäumen und die Grasfläche war gesäumt von blauen Blumen. Am Rand der Lichtung floss der Bach vorbei, den der Seltsame gesucht hatte. Doch noch bevor der Seltsame aus dem Schutz der Bäume auf die Lichtung
treten konnte, sah er auf der gegenüberliegenden Seite etwas großes, weißes stehen. Es war ein Einhorn. Und was für eines. Der kräftige, schnelle Körper, perfekt zur Jagd. Das spitze, lange Horn, geschaffen, um zu verletzen und zu töten. Und die roten Augen, voller Boshaftigkeit und Grausamkeit.
 
Gerade noch rechtzeitig, um dem Blick des Einhorns zu entgehen, versteckte der Seltsame sich hinter einem Baumstamm. Dort blieb er so lange, bis er hörte, dass das Einhorn fertig getrunken hatte und wieder auf der anderen Seite in den Wald verschwand. Als der Seltsame sicher war, dass das Einhorn nicht mehr in der Nähe war, trat er auf die Lichtung und ging auf den Fluss zu, um etwas zu trinken. Doch in dem Moment, in dem der Seltsame sich hinunter beugte, um eine Handvoll Wasser zu seinem Mund zu führen, entdeckte er einen verschlungenen Pfad, der auf die Seite abbog, sodass der Seltsame nicht erkennen konnte, was sich am Ende des Weges befand. Da er ohnehin in der Nacht nicht mehr weiterreisen konnte und er noch keinen Schlafplatz hatte, stand er auf und sprang über den Bach hinweg.
Dieser Weg war, im Gegensatz zum vorherigen, der ihn in den Wald geführt hatte, klar erkennbar. Es war sogar, als würden die Pflanzen, die den Weg säumten, vor ihm zurückweichen, sobald sie bemerkten, dass er da war.
Der Seltsame ließ sich davon aber nicht beirren und setzte seinen Weg durch den Wald fort.
Nachdem er eine Weile gegangen war, kam er an eine Holzhütte, die eindeutig schon bessere Tage gesehen hatte. Auf der Seite ging es steil bergab und der Seltsame hörte, wie der Bach
einen riesigen Wasserfall hinunterdonnerte. Aber der Seltsame wusste, dass er jetzt nicht umkehren konnte. Nicht, wenn er die Nacht nicht in der Gesellschaft des Einhorns verbringen wollte. Also ging er um die kleine Holzhütte herum, da auf der Vorderseite jede Spur einer Tür fehlte. Als der Sonderbare jedoch an einem Fenster vorbeikam, schaute er hinein und blieb abrupt stehen.
Eine Hexe stand über einen Kessel gebückt da und rührte etwas in einem Kessel, der über dem Feuer hing und einen widerwärtigen Geruch nach verbranntem Fleisch verbreitete. Voller Schrecken drehte der Seltsame sich um und rannte den Weg wieder zurück zur Lichtung, in der Hoffnung, noch einmal auf das Einhorn zu stoßen, um es zu der Hexenhütte zu führen und so zwei Fliegen mit einer Klappe zu beseitigen. Doch in dieser Nacht hatte den Sonderbaren alles Glück verlassen. Das Einhorn ließ sich nicht mehr blicken.
Am nächsten Morgen jedoch ging der Plan des Sonderbaren auf. Als die ersten Sonnenstrahlen die Lichtung erreichten, stolzierte das Einhorn zwischen den Bäumen hervor und tat sich an den blauen Blumen gemütlich, die den Boden der Lichtung bedeckten. Der Sonderbare wartete noch ein paar Minuten in seinem Versteck neben dem Pfad, um sicher zu gehen, dass das Einhorn auch wirklich abgelenkt war. Dann schleuderte er einen Stein, den er am Boden gefunden hatte, auf das Einhorn. Und der Stein traf sein Ziel. Die Flanke des Einhorn fing leicht an zu bluten, als der Stein dort aufschlug.
 
Sofort war das Einhorn rasend vor Wut. Noch nie jemals zuvor hatte jemand versucht, es zu verletzen, und dabei auch noch Erfolg gehabt! Mit nun vor Zorn blitzenden, roten Augen suchte das Einhorn die Lichtung ab, und versuchte herauszufinden, wer so töricht war, sich mit ihm anzulegen. Eine Bewegung in den Büschen, die zum Hexenhaus führte, ließ das Einhorn aufhorchen. Und dann stürmte es los.
Als der Sonderbare sah, mit welcher Mordlust das Einhorn auf die Büsche zuraste, in die er einen Stock geworfen hatte, schlich er auf lautlosen Sohlen durch den Wald.
Die ganze Nacht hatte der Sonderbare damit verbracht, den Weg zum Hexenhaus von allem zu befreien, das ihn womöglich an das Einhorn verraten hätte können. Doch in diesem Moment, in dem Das Einhorn bei den Büschen zum Stillstand kam, wusste der Sonderbare, dass das nicht vonnöten gewesen wäre. Das Einhorn war zu sehr darauf fixiert, den neuerlichen Geräuschen nachzulaufen, die der Sonderbare durch geworfene Stöcke und Steine verursachte, um auf sich entfernende Geschöpfe zu achten. Nach und nach lenkte der Sonderbare das Einhorn in die von ihm gewünschte Richtung. Zum Hexenhaus.
Immer näher kam das Einhorn dem Hexenhaus. Dem Hexenhaus, in dem sich die Hexe mitsamt ihrer dunklen Zauber befand. Ein letztes Mal warf der Seltsame einen Stein, direkt durch das Fenster des Hexenhauses. Ohne nachzudenken, sondern nur von der brodelnden Wut gelenkt, sprang das Einhorn dem Stein nach – und blieb stecken. Erschreckt drehte die Hexe sich zu dem Fenster um, in dem vor wenigen Augenblicken noch eine Fensterscheibe war. Nun konnte sie statt dem Wald nur noch den Kopf, mitsamt dem Horn, und die Vorderbeine des Einhorns bewundern.
Der Bauch, angefüllt von den üppigen blauen Blumen der Lichtung, war zu groß, um wie der vordere Teil des Einhorns durch das Fenster zu passen.
Noch immer überrascht bemerkte die Hexe nicht, dass der Sonderbare sich ihr genähert hatte und sie am Arm packte. Er zerrte sie aus der Hütte hinaus und zu der Klippe hinter dem Hexenhaus. Ohne zu zögern versetzte der Sonderbare der Hexe einen Schubs und diese stürzte über den Rand der Klippen direkt in den Tod, der unter der Wasseroberfläche lauerte. Das Einhorn, das nun weder vor noch zurück konnte, musste mit ansehen, wie der Sonderbare anfing, die Hütte zu durchsuchen und alles Gold einsteckte, das er finden konnte. In einem letzten Versuch, sich zu befreien, stieß das Einhorn sich mit aller Kraft mit den Hinterbeinen vom Waldboden ab und durchbrach den Fensterrahmen. Doch jetzt, da es frei war, konnte das Einhorn den Schwung nicht mehr abbremsen und stürzte geradewegs ins Feuer, das den Kessel erwärmte.
Nun alleine in der Hütte suchte der Seltsame alles zusammen, das sich entweder als nützlich erweisen konnte, oder das er verkaufen konnte. An den Essensvorräten aß er sich satt, und füllte jede freie Stelle in seinem Sack damit an. Als die Nacht hereinbrach, ließ der Seltsame sich auf dem alten Bett der Hexe nieder. Am nächsten Morgen wurde er von den Vogeln geweckt und nach einem ausgiebigen Frühstück ging der Seltsame seiner Wege. Für sein restliches Leben hatte der Sorglose mit dem Gold der Hexe ausgesorgt. So ging er dahin und reiste sein restliches Leben lang durch das ganze Land. Und wenn er nicht gestorben ist, dann reist er auch noch heute.