Preis für Maria-Katharina Griebl (3D) beim 30. Junior Bachmann Literaturwettbewerb

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Maria-Katharina Griebl, Schülerin der 3D, konnte beim diesjährigen Junior Bachmann Literaturwettbewerb zum Thema „TOHUWABOHU“ mit ihrem Text „Die Schlacht meiner Tochter“ unter 450 Einreichungen aus dem deutschsprachigen Raum in ihrer Kategorie I einen 3. Platz erreichen. Die Lesung der prämierten Texte und die Preisverleihung fanden am 23. Juni 2022 in Klagenfurt statt. Wir gratulieren sehr herzlich zu diesem Erfolg!

Marias Text:
Die Schlacht meiner Tochter 

Leise schlich ich die Treppe hoch, um nach meiner Tochter Luisa zu sehen. Zu dieser Uhrzeit sollte sie schon längst eingeschlafen sein, aber ich hatte einfach so viel zu erledigen gehabt, dass ich nicht früher zu ihr schauen konnte. Langsam öffnete ich ihre Zimmertür und blickte in das durch den Vollmond erhellte Zimmer. Das kleine Nachtlicht am Rande der Tür strahlte ein dämmriges, weißes Licht aus. Als mein Blick auf die Szenerie, die den ganzen Fußboden beanspruchte, fiel, stockte mir vor Schreck der Atem. Oh Gott! Was hatte meine sonst so liebliche Tochter nur getan?
Die große Ritterburg, die wir gemeinsam aufgebaut hatten, war zweifelsohne von der Schiffsarmee der Piraten angegriffen worden. Mehrere Dellen hatten die schweren Kanonenkugeln in die äußerste Mauer der Burg geschlagen. Es gab viele kleine Löcher, wo die Munitionen die Wand durchbohrt hatten. Die Stadt am Fuße der Burg war ein Abbild der Grausamkeit. Häuser waren eingestürzt, Dächer fehlten, Türen waren aufgebrochen. Sogar der Stall war dem Erdboden gleichgemacht, die Stützen waren umgerissen worden, sodass das Dach einfach auf die Pferde, Ochsen, Esel, sowie andere Stalltiere, die sich nicht rechtzeitig retten konnten, gefallen war. Regungslos lagen die Opfer herum, manchen war der Kopf abgetrennt worden. Eine Gruppe Dörfler war im hinteren Teil der Stadt von den Angreifern überrascht worden. Deren Schwerter steckten überall, in ihren Bäuchen, Beinen, sowie in ihren Hälsen. Lauter Unschuldige, die der Schlacht zum Opfer gefallen waren und noch kurz davor ihr gewohntes, ruhiges Leben gelebt hatten. 
Erschrocken erkannte ich unter den Toten den Bäcker, dessen Brot noch im großen Steinofen dampfte. Von allen war er mit den kurzen, schwarzen Haaren, den rosigen Backen und dem stets freundlichen Lächeln mein Liebling gewesen. Ich hatte ihn immer gerne bei seinen unzähligen Beschäftigungen durch den Tag begleitet. Ihm beim Brotbacken geholfen, gemeinsam mit ihm vor dem König für weniger Steuern vorgesprochen und mit ihm einen passenden Gesellen ausgesucht. Ari hatten Luisa und ich ihn genannt. Doch nun war er, ebenso wie seine gesamte Familie, tot. 
Das gleichmäßige Atmen meiner Tochter wirkte unpassend, angesichts dieses Szenarios. Wie konnte sie, in ihrem zarten Alter, nur ein solches Gemetzel anrichten?
Mein Blick glitt weiter zum rot bekleckerten Bergfried. Die Prinzessin mit der langen, goldblonden Lockenpracht hatte dort im obersten Turmzimmer überlebt. Immer noch saß sie vor ihrem Frisiertisch. Lebendig. Kein Wunder – sie war Luisas Lieblingsfigur.
Vor den gewaltigen Stadtmauern lagen Leichen wie Staubkrümel. Der gesamte Boden war blutrot. Das komplette Fußsoldatenbataillon war geschlagen. Riesige Berge an Toten warfen Schatten auf das karge Land. Schwarze, kleine Punkte, gefräßige Fleischfliegen, umschwirrten die leblosen Körper. 
Ungläubig, dass meine süße, brave Luisa das gemacht haben konnte, betrachtete ich schockiert das erschreckende Bild. Was hatte meine Tochter nur dazu bewegt, solch ein Chaos anzurichten? 
Ein Rascheln ließ mich zusammenfahren. Was war das? Eine Figur war umgefallen. Ich zuckte unwillkürlich zusammen, hielt die Luft an. Noch ehe ich mich aus meiner Trance retten konnte, hörte ich schon ein »Miau« und atmete erleichtert aus. Unser junger Kater Aladdin kroch aus dem von Kartonschachteln und Playmobilfiguren verborgenen Hintergrund hervor und guckte mich neugierig aus seinen großen, gelben Augen an. Vorsichtig hob ich ihn hoch und wiegte ihn wie ein Baby, worauf Aladdin selig zu schnurren anfing. Doch auch, wenn ich einen vibrierenden Kater hielt, dessen Geräusche einem Traktor glichen, zog das von Luisa angerichtete Schauspiel wieder meine ganze Aufmerksamkeit auf sich.
Auch die Reitsoldaten links im Zimmer waren tot. Eine rote, dickliche Flüssigkeit bedeckte sie von Kopf bis Fuß.
Meine Lippen zitterten, als ich den Kadaver des riesigen, grauen Pferdes, welches fast so groß wie die Burg war, erblickte. Ein Fußsoldat hatte versucht, sich während der Schlacht in das Tier zu retten. Der Versuch war geglückt, auch wenn er dabei das halbe Pferd ausgehöhlt hatte. Wie Schnee lag die weiße Watte auf dem Fußboden und nur die Füße des Soldaten schauten noch heraus. 
Weiter hinten, in der Piratenbucht, hatten die Schiffe ihr Zuhause längst verlassen und waren vor die Burg getrieben. Ihre Besatzung war schuld an dem Massaker. Ebenso wie die Kämpfer waren sie alle gestorben. Ihre Körper lagen überall, auf dem Deck, hinter dem Steuer, vorne am Bug, sogar oben, auf dem Mast hing einer. Das Schiff selbst war schrecklich verwüstet. Eine ganze Seite des Rumpfes fehlte, Kanonenkugeln, Säbel, Pistolen und allerlei Waffen lagen trostlos herum. Es gab niemanden mehr, der sie hätte benutzen können. Gelbe, lange Stangen – Pommes lagen auf dem Geschehen. Ihre Funktion wurde mir nicht klar, vielleicht sollten sie übergroße Knochen sein.
Seufzend griff ich mir eine mit Ketchup verklebte Playmobilfigur und strich ratlos über ihr Gesicht. Wie sollte ich mich fühlen? Wütend? Traurig? Oder enttäuscht? Und wie sollte ich reagieren? Sollte ich meine kleine Tochter sofort aufwecken und mit ihr schimpfen? Sollte ich morgen mit ihr reden, sie fragen, warum sie das getan hatte? Reagierte ich über? Auf jeden Fall würde ich meine Mutter, Luisas Oma, die sie den ganzen Nachmittag betreut hatte, anrufen. Vielleicht hatte sie eine Erklärung, was mit meiner Tochter hier geschehen war oder warum sie überhaupt Junk-Food in ihrem Zimmer hatte. »So ein Tohuwabohu«, murmelte ich. Gleich, was geschehen war, es konnte bis morgen warten, beschloss ich gähnend, bevor ich leise mit Aladdin auf dem Arm das Zimmer verließ.